Kryptopolitik: Höhere Interessen kündigen sich drohend an
Der Versuch des deutschen Innenministers Kanther, eine Mehrheit für seinen erstmals auf dem BSI-Kongress im April 1997 geäußerten Vorstoß zur Krypto-Regulierung in Deutschland zu finden, ist ja erstmal gescheitert. Das hat allerdings auch mit dem Wahlkampf zu tun; Kanzler Kohl hat rechtzeitig erkannt, daß Krypto-Regulierung kein Thema ist, mit dem sich Wahlen gewinnen lassen und deswegen rechtzeitig ein Machtwort innerhalb der Fraktion gesprochen.
Hintergrund des Aktionismus vom April 1997 war ein Ereigniss 4 Monate vorher; der für die Durchsetzung des nordamerikanischen amerikanischen "global Key-Escrow Plans"* zuständige US-Sonderbotschafter Aaron hatte Bundeskanzler Kohl und Innenminister Kanther im Dezember 1996 einen Besuch abgestattet. Wen er bei dieser Gelegenheit noch besuchte und mit welchen Mitteln diese hohen Vertreter unserer ehrwürdigen Regierung auf die US-Linie gebracht wurden, ist nur ansatzweise bekannt. Vieles liegt im Bereich der Spekulation; allerdings ist mitunter von entsprechend langfristig positionierten Verträgen die Rede, deren Wurzeln noch aus den Zeiten der Besatzungsmächte stammen.
Wiedemauchimmersei, seitdem sind ja fast 2 Jahre vergangen. Die in den amerikanischen Gesetzen formulierte 2 jährige Frist zum Aufbau der global key escrow structure läuft Ende 1998 ab. Die Durchsetzung des amerikanischen Vorhabens wurde durch eine mehrgleisige Strategie auf den Weg gebracht. Zunächst wurden allen amerikanischen Firmen die Möglichkeit angeboten, die nächsten 2 Jahren Ihre Software quasi mit beliebigen kryptographischen Funktionen und Schlüssellängen zu versehen. Um die entsprechende Genehmigung für den Zeitraum Anfang 1997 bis Ende 1998 zu bekommen, mußten sie lediglich für diesen Zeitraum den Aufbau eines entsprechendes key escrowing zusagen.
Auf dem anderen Gleis reiste US-Sonderbotschafter Aaron die "befreundeten" Staaten ab und bearbeitete die entsprechend zuständigen Stellen mit seinem Propaganda-Material über deren Inhaltsstoffe einiges aber nicht alles bekannt ist. Mindestens die Hälfte der Akten dürften unter dem Stichwort "Innere Sicherheit" bzw. "Organisierte Kriminalität" abheftbar sein. Daß Kanther mit seinem Vorstoß, die amerikanischen Interessen in Deutschland zu kommunizieren und durch- zusetzen gescheitert ist, stimmt nicht wirklich. Denn eines hat uns die Kanthersche Diskussion geklaut: 2 Jahre Zeit. 2 Jahre, die wir letztlich dafür brauchten, den Politikern und der Öffentlichkeit zu vermitteln, warum es nicht sinnvoll sein kann, daß jeder Bürger den Nachschlüssel zu seiner Wohnung bei der örtlichen Polizeidienststelle hinterlegen muß. Von wegen die Frage nach der Sicherheit von Polizeidienststellen und der Bestechlichkeitsquote von Polizeibeamten; Schaffung zentraler Begehrlichkeiten.
Diese 2 Jahre wurden in Europa eben nicht dazu genutzt, einen Verschlüsselungsstandart zu entwickeln, mit dem alle Internetnutzer standartmässig ihre Datenpostkarten mit einem Umschlag versehen. Das eine was jetzt passiert ist die Macht des faktischen. Die Dominanz amerikanischer Software führt jetzt gegen Ende 1998 dazu, daß Key-Escrow etabliert wird. Zum anderen hatten sich Aaron offenbar von seinem Treff im Dezember 1996 noch etwas mehr von der "befreundeten" Deutschen Regierung versprochen. Üblicherweise wird wohl eine etwas konsequentere Durchsetzung von Befeh... äh Vorschlägen erwartet.
Jetzt gibt ́s nämlich gerade ein bißchen Verstimmungen. Nachdem es die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages immerhin geschafft hat, in ihrem Bericht zu "Sicherheit und Schutz im Netz" quasi einvernehmlich quer durch alle Parteien die Einschätzung, eine Regulierung von Kryptographie nicht für sinnvoll zu erachten, dargestellt hat, ist die US-Regierung etwas minder begeistert (mal nebenbei: es könnte sich an dieser Stelle herausstellen, daß die Enquete-Kommission tatsächlich einen Sinn gehabt hat. Dies läßt sich anhand der anderen erstellten Berichte und der Arbeitsweise nicht zwangsläufig schlußfolgern). Offenbar ist die Geduld von Sonderbotschafter Aaron und seinem Dienstherrn erschöpft. Er hat schlechte Laune und hat einen verhältnissmässig kurzfristigen Besuch mit verschiedenen Terminen bei deutschen Stellen im Zeitraum vom 10. - 15. Oktober 1998 angekündigt. Oder sagen wir mal, nicht direkt angekündigt, aber irgendwie kochen die Jungs bei Ihrer Kommunikation auch nur mit Wasser.
Das sollte für uns als erklärte Gegner der Regulierung von Kryptographie ein wichtiger Termin im Kalender für entsprechenden Aktionismus sein. Beim Entstehen dieses Artikels kann ja noch nicht mal prognostiziert werden, wer zum Zeitpunkt des Besuches Innenminister ist. Aber der Einfluß der amerikanischen Regierung auf die deutsche dürfte auch einigermaßen unabhängig von dem Unterhaltungsspiel sein, was wir unter dem Begriff "Wahlen" kennen. Diesbezügliche Erkenntnisse könnten im jetzigen Kontext noch einen wichtigen Mosaikstein bilden. Immer her damit. Historisch betrachtet ein interessanter Zeitraum, um die entsprechenden Machtverhältnisse zu beobachten. Vielleicht gibt es noch mal einen Kinderpornoskandal mit Einsatz von Krypto? Oder ein paar wichtige Förderer von Verschlüsselung werden liquidiert? Fragen über Fragen, die es noch zu klären gilt.
andy@ccc.de
* das ziemlich umfangreiche Gesetzeswerk, welches die Kryptoregulierung vom US- Verteidigungsministerium (DoD) zum Wirtschaftsministerium (DoC) und den Aufbau der global key escrow structure beschreibt ist irgendwo unter http://www.epic.org/crypto/export_controls zu finden: Federal Register, Dec 30, 1996 (Vol 61, Number 251, Rules and Regulations, Page 68572- 68587 from the federal register via GPO Access (wais.access.gpo.gov)).